Charaktere

Von Figuren zu Charakteren

#Charakterisierung
#Figurenentwicklung

Das Wichtigste an einer Geschichte sind ihre Charaktere. Und die Möglichkeiten, eben solche zu erschaffen, so unterschiedlich wie vielseitig. In diesem ersten Blogpost zum Thema der Figuren und Charaktere will ich Dir einen kurzen Überblick darüber geben, wieso es sich lohnt, sich mit seinen Figuren etwas intensiver auseinanderzusetzen.


Zunächst jedoch ein kurzer Blick zurück. Nachdem ich meine Storyidee etwas ausformuliert (KLICK) und den Versuch unternommen hatte, eine Story Outline zu schreiben (KLICK), habe ich schnell gemerkt, dass ich damit ins Leere laufe.

Der Versuch, eine Story Outline ins Blaue hinein zu schreiben, ist daran gescheitert, dass ich mir zwar einige Szenen visuell sehr gut vorstellen konnte, aber nicht wirklich wusste, wieso diese passieren, wie die Figuren darauf reagieren und vor allem, warum sie sich gerade so verhalten, kurz: Ich wusste nicht, mit wem ich es in meiner Story zu tun habe.

Ich habe ein paar mir unbekannte Figuren in das Setting meiner Idee gesetzt und gehofft, dass sie sich da schon irgendwie zurechtfinden werden und angesichts der Bedrohung, die über ihnen schwebt, schon in der richtigen Art und Weise handeln würden. Es kommt ja schließlich ein Meteorit auf sie zu, da kann man doch mal etwas Handlung von denen erwarten, oder?

Die leeren Hüllen füllen

Figuren sind Computern nicht unähnlich. Denn Computer sind ohne den richtigen Input nur nutzlose Maschinen, die nicht wissen, was sie tun sollen. Auf die richtige Information kommt es an und auf jemanden, der diese Information bereitstellt.

Übertragen auf Figuren heißt das, ohne die Hilfe einer Autorin oder eines Autors, die_der die leeren Hüllen mit Informationen füllt – Backstory, Charaktereigenschaften, Neigungen, Ticks etc. – sind die Figuren einfach nur leere Hüllen, Marionetten, die schlaff vor sich her baumeln und von einer Szene in die andere geschubst werden, aus dem einzigen Grund, weil man sie halt in seiner Story benötigt.

Sieht man sich als Autor_in einem ausgearbeiteten Charakter gegenüber, weiß dieser oftmals besser, was in der jeweiligen Situation zu tun ist bzw. lässt sich nicht so einfach in Situationen pressen, nur weil man es selbst gerne so hätte.

Mir ist schon klar, dass das alles im eigenen Kopf stattfindet und das Charaktere nicht wirklich autonom handeln, denn es entspringt ja alles Deinem Gehirn, Deiner Fantasie. Dennoch leuchtet es ein, dass je intensiver man sich mit seinen Figuren beschäftigt, diese ausformuliert und vermenschlicht, desto leichter fällt es, sie in einer Situation beim intuitiven Handeln zu beobachten.

I become fully engaged in my writing when I am fully engaged with my characters.

– Scott Meyers

Eine Story kann noch so gut sein, doch dass, worauf die Zuschauer_innen am stärksten reagieren, mit wem sie sich identifizieren, sind einzig und allein die Charaktere. Egal wie ausgeklügelt der Plot, wie viele Twists und geniale Einfälle man verbaut, sind die Charaktere flach und einseitig, schalten die Zuschauer_innen auf Durchzug und finden schnell eine neue Quelle, um die eigene Aufmerksamkeit in Beschlag nehmen zu lassen. Gerade bei dem Überfluss an Content, der heutzutage zur Verfügung steht, ist die Hemmschwelle extrem niedrig, den Film oder das Buch zur Seite zu legen und sich Neuem zu widmen, wenn etwas langweilig oder vorhersehbar oder gar unlogisch wirkt. Und dem gilt es mit logisch handelnden und echt wirkenden Charakteren entgegenzusteuern.

Audiences purchase your work because of your concept, but they embrace it because of your characters.

– Matt Bird

Also, je mehr man über seine Figuren weiß, desto einfacher wird es, mit Ihnen zu arbeiten bzw. desto mehr ergreifen diese die Eigeninitiative und handeln so, wie es ihrem Naturell entspricht und die Zuschauer können sich eher mit Ihnen identifizieren, sich in ihre Position versetzen und mit ihnen mitfiebern. Und das ist ja schließlich das, was wir uns als Autoren wünschen. Figuren zu entwickeln, die zu Charakteren werden, die einen in ihren Bann ziehen und denen man gerne durch die Story folgt.

Das Leben der Anderen

Doch wie erschafft man glaubhafte Charaktere? Das Problem, das viele Charaktere in so manchen Storys mit sich bringen, ist, sich an einem gewissen Punkt unlogisch zu verhalten, also der Situation nicht angepasst oder auf einmal Fähigkeiten zu entwickeln, von denen vorher nie die Rede war, nur um ein bestimmtes Hindernis überwinden zu können, damit die Story in die oder jene Richtung weiterlaufen kann. Die oben erwähnten Marionetten also. Um nicht in eine solche Situation zu kommen, steht an erster Stelle, dass Du als Autor_in Deiner Geschichte Deine Charaktere in- und auswendig kennen solltest.

Oftmals hat man ja schon eine grobe Vorstellung von seiner Hauptfigur. Man weiß, ob sie männlich oder weiblich ist, das ungefähre Alter und eventuell hat man sogar schon das Aussehen vor Augen. Doch was ist der nächste Schritt?

Am einfachsten ist, sich zuerst in seinem näheren Umfeld umzuschauen; Freunde, Familie, Nachbarn sind eine gute erste Anlaufstelle, um einen Charakter zu entwickeln. So könntest Du eine Dir nahestehende Person eins zu eins in eine fiktive Figur kopieren, sofern sie Deinen Ansprüchen genügt. Einfacher ist es, sich hervortretende Eigenschaften zu suchen, die einen interessieren und faszinieren oder auch irritieren oder abstoßen. Es ist Deine Figur, Deine Story und alles ist erlaubt. 

Bist Du noch auf Suche nach Inspiration empfiehlt es sich, die eigenen vier Wände zu verlassen und sich in ein Café zu setzen und einfach Menschen zu beobachten, die Körpersprachen studieren, den Gesprächen lauschen, sich mehr zu den einzelnen Personen ausdenken. Du kannst Dir Fragen stellen, wie zum Beispiel: was sie später machen, woher sie wohl kommen mögen, welchem Beruf sie nachgehen, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten würden etc. pp. Lass Deiner Fantasie freien Lauf. Vielleicht triffst Du ja auch auf eine Person, die der in Deiner Geschichte ziemlich nahekommt? Dann hast Du schon eine gute Grundlage, weil Du ein konkretes Bild der Person vor Augen hast.

Auch eine Möglichkeit ist, sich den Livestream (Link Phoenix) aus dem Bundestag anzuschauen, was in Bezug auf Körpersprache, Stimmlagen und Ausdrucksweisen ebenfalls sehr interessant ist.

Wie generell beim kreativen Prozess ist es wichtig, alles zuzulassen und Deine Story hierfür erst mal in den Hintergrund zu stellen. Oftmals hat man ja schon ausgefeilte Ideen für einzelne Szenen, was passieren könnte, welche Konflikte es zu bewältigen gibt, wer wie reagieren muss, damit eine bestimmte Storyidee funktioniert. Aber eine Figur darauf auszurichten, was Du als Autor_in gerne vom ihm oder ihr sehen würdest, nur damit Du eine bestimmte Idee einbauen kannst, führt selten zu einem guten Ergebnis bzw. zu glaubwürdigen Figuren. Vielmehr muss die Initiative vom Charakter ausgehen. Und dafür muss man so viel über seine Figur wissen wie möglich. Was uns zum nächsten Schritt bringt.

Die Charakterisierung

Hast Du genügend Inspiration gesammelt, wird es Zeit, alles einfach mal rauszulassen. Eine Möglichkeit, sich mit einer Figur bekannt zu machen, ist, eine Biografie zu schreiben. Nicht länger als ein bis zwei Seiten. Ein grober Überblick über das Leben von Geburt bis zu dem Zeitpunkt, an dem Deine Story anfängt. Da wird natürlich auch einiges dabei sein, was für die Geschichte unwichtig ist, aber mal so einen Gesamtüberblick zu haben, über das, was Dir zu dem Charakter einfällt, ist ein guter Ausgangspunkt.

Hierbei solltest Du Dir keine Grenzen auferlegen. Was raus kommt, kommt raus, auch wenn es Dir in dem Moment zu extrem vorkommt oder es so gar nicht den Vorstellungen entspricht, die Du zu der Figur hast. Die Biografie ist nur für Dich gedacht und hat den alleinigen Zweck, Dich mit Deiner Figur bekannt zu machen.

Most of the scripts I read that aren’t good enough suffer because the characters are too thinly drawn, not complex enough to be compelling or interesting.

– Scott Meyers

Ich mache so etwas gerne handschriftlich, da ich dadurch nicht das Gefühl habe, ständig etwas im Dokument korrigieren zu müssen, sondern einfach alles runterkritzeln kann. Denken mit dem Stift. Nimm Dir ein Blatt Papier, ein Notizbuch, was auch immer und fange einfach an. Am besten mit dem Namen der Figur an, Geburtsdatum und Ort, über die Eltern und die Beziehung zu ihnen, die Kindheit, Schule … bis hin zu welche Ticks sie hat, nach welchen Werten sie lebt oder strebt, welche Ängste und Träume sie hat, spricht sie schnell oder langsam, welche Vorlieben und Abneigungen hat sie, gibt es ein Ereignis in der Vergangenheit, das sie bis heute beeinflusst, oder dunkle Geheimnisse und Neigungen, von denen keiner etwas wissen darf? Aber auch Hobbys sowie, was sie in ihrer Freizeit macht, hat sie Freunde, was unternehmen sie, etc. pp. Was immer Deine Fantasie hergibt, alles ist hilfreich.

Versuche, die Charakterisierung in ganzen Sätzen zu schreiben und nicht in Stichworten. So halt, wie Du es von einer Biografie erwarten würdest. Tust Du Dich schwer damit über eine Person zu schreiben, kannst Du versuchen, aus der ersten Person, also der Ich-Perspektive, zu schreiben. Das macht es manchmal einfacher. Probiere aus, was am besten für Dich funktioniert.

Einen einzigen richtigen Weg, eine Figur zu erschaffen gibt es nicht. Das einzige Kriterium ist, ob etwas funktioniert oder nicht.

– Syd Field

Das solltest Du für alle Figuren in Deiner Story machen, vor allem für den oder die Antagonist_in, der_die Gegenspieler_in. Das wird gerne mal vernachlässigt, denn der_die muss ja nur böse sein und die Hauptfigur behindern. Das könnte falscher nicht sein, und es gibt genug Filme, in denen der_die Gegenspieler_in genau nur das ist: er_sie handelt böse, weil er_sie halt so handeln muss. Das Resultat ist ein_e langweilige_r Antagonist_in, in wahrscheinlich einer ebenso langweiligen Story.

Wenn Du dem Gegenspieler_in genau so viel Aufmerksamkeit schenkst wie dem_der Protagonist_in, dann entsteht die Möglichkeit, Charaktere zu schaffen, die auf Augenhöhe miteinander im Konflikt liegen, aus triftigen Gründen so handeln, wie sie handeln und sich gegenseitig durch die Story treiben. Doch dazu im nächsten Blogpost mehr.

Du siehst, es ist leicht, sich im Leben Deiner Figuren zu verlieren. Es werden immer neue Fragen auftauchen, neue Ideen ins Hirn schießen und der Punkt kommen, an dem Du alles infrage stellst. Da ist normal und gehört zum kreativen Prozess dazu. Denk immer daran, dass es Spaß machen soll, sich in das Leben Deiner Figuren zu vertiefen. Das Ziel der Charakterisierung ist, seine Charaktere so gut zu kennen, als ob Du mit ihnen für eine Zeit zusammengewohnt hast. In- und auswendig also, und wenn Du ab und an genervt von ihnen bist, bist Du ihnen wahrscheinlich schon näher, als Du denkst.

Schreiben heisst Überarbeiten 

Fängt man an, sich so intensiv mit allen Charakteren auseinanderzusetzen, kommst Du unweigerlich in den Genuss der Tätigkeit, die den Alltag eines Autors bestimmt: dem Überarbeiten. Gebe Dich nicht mit der erstbesten Version zufrieden, denn sobald Du mit den anderen Figuren anfängst, ergeben sich unweigerlich Sachen, die wiederum bei anderen Figuren angepasst werden müssen und vice versa.

Aber um das Ganze nicht ausufern zu lassen, empfiehlt es sich, erst mal eine Obergrenze von zwei bis drei Überarbeitungen zu setzen. Früher oder später wirst Du gezwungenermaßen wieder darauf zurückkommen müssen. Aber fürs Erste reicht eine Version, die Dich zufrieden stimmt, und bei der Du das Gefühl hast, Deine Charaktere gut genug zu kennen.

Jetzt ist es an der Zeit, die Charakterisierung mit Deiner Storyidee abzugleichen. Wie fügen sich Deine Charaktere in die Story ein? Macht es Sinn, etwas an der Story zu ändern? Sind neue Erkenntnisse hinzugekommen, die sich auf die Handlung auswirken? Gibt es etwas in der Vergangenheit, das zu einem Konflikt in der Gegenwart oder Zukunft führen könnte? Auch hier gibt es wieder viele Fragen, denen es nachzugehen lohnt.

Und auch das Experimentieren ist wichtig, denn Deine Storyidee ist ja nicht in Stein gemeißelt. Also traue Dich mal auszuprobieren, was passiert, wenn Du etwas umstellst, Gegebenheiten aus dem Lebenslauf aufgreifst und ausprobierst, wie sich das auf die Story auswirken könnte. Ein lustiges Experiment ist auch, Hauptdarsteller_in mit Gegenspieler_in auszutauschen und zu beobachten, was dann passieren würde. Auch hier, lass Deiner Kreativität allen Freiraum. 

Manchmal ist es notwendig, etwas auseinanderzunehmen, um es wieder zusammenzusetzen.

– Syd Field

Genug ist genug

Ich weiß, das alles ist viel Arbeit und man kommt des Öfteren zu dem Schluss, dass man doch nur seine Story erzählen möchte und wen interessiert’s, wo meine Figur zur Schule gegangen ist oder wie die Beziehung zu den Eltern einer Nebenfigur war?

Und Du hast natürlich recht. Man kann es auch übertreiben. Aber stell Dir die Arbeit an Deinen Charakteren als einen Eisberg vor.

Die sichtbare Spitze, die aus dem Wasser herausragt, ist der Teil, der für Deine Story schlussendlich relevant ist. Doch der wiederum wird von einem gewaltigen Fundament getragen, welches unter der Wasseroberfläche liegt.

Alles, was sich unterhalb der Oberfläche befindet, ist das, was Du über Deine Charaktere gelernt hast, während Du sie entwickelt, über sie nachgedacht und sie geschrieben hast. Auf dieses Wissen kannst Du jederzeit zurückgreifen, solltest Du im weiteren Verlauf der Story-Entwicklung auf Probleme stoßen.

The seeds of the future lie buried in the past.

– Optimus Prime

Jetzt hast Du schon mal einen guten Überblick, wieso es wichtig ist, sich intensiver mit seinen Figuren zu beschäftigen, um so einen der wichtigsten Aspekte einer guten Story in den Griff zu bekommen: glaubhafte und logisch handelnde Charaktere.

In dem nächsten Blogpost gehen wir mehr auf den_die Protagonist_in einer Geschichte ein und was es mit diesem bösen, bösen Gegenspieler, dem_der Antagonist_in, auf sich hat.


Vorrangig beim Blog geht es mir ums Lernen, also gibt es am Ende von jedem Post ein kleines Fazit mit dem, was ich daraus mitnehme.

Gelerntes aus diesem Post:

Es ist wichtig, seine Charaktere in- und auswendig zu kennen.

Die Charaktere sind das, was die Zuschauer an einer Story interessiert.

Die besten Charaktere schreibt das Leben also rausgehen und seine Mitmenschen studieren.


Einen tieferen Einblick in den kreativen Prozess des Filmemachens gibt es einmal im Monat in Behind The Scenes.

Neben Updates zu meinem Film und den Neuigkeiten auf dem Blog gibt es Einblicke in Arbeitsweisen und Routinen, welche Literatur ich zurate ziehe, mit welchen Filmen ich mich zur Recherche auseinandersetze und was ich sonst noch spannendes zum Thema Filmemachen finde.

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